Sonntag, 17. Dezember 2017

17.12.2017 Los geht’s

Meine tolle Familie bringt mich um 6 Uhr ans Gate. Die Koffer mit 2x23 kg sind gestern schon aufgegeben worden, ein Stück Handgepäck habe ich dabei mit Briefen, Papieren, Geld und ein paar Sachen für den Fall, dass die Koffer nicht mit mir in Yaoundé landen sollten. Ab jetzt geht es alleine durch die Terminals und Kontrollen. In Frankfurt am Gate bemerke ich, dass ich für den Flug von Brüssel nach Yaoundé keine Bordkarte habe und lasse Sie mir noch ausstellen. Am Gate sitzen mindestens genauso viele Schwarze wie weiße, sicher sind einige mit mir später über der Sahara unterwegs. Ohne große Besonderheiten geht es bis nach Brüssel und dort auf langen Fußwegen durch die Pass- und Visumkontrolle Richtung Terminal 47, wo schon 90 Minuten vor dem geplanten Start das Boarding beginnt.

Inzwischen sind es eigentlich ausschließlich Schwarze die sich auf diesen Weg machen. Gefühlt genauso viele Kinder wie Erwachsene für einen 6-Stunden-Flug. Ein weiterer weißer (Engländer) stellt sich zu mir und fängt gleich an zu erzählen.

Das Flugzeug wartet noch auf Gäste aus zwei weiteren Maschinen, so dass wir erst 70 Minuten später starten. Ich genieße fast die gelöste Stimmung in der Maschine, und die Kinder werden schon kreativ da ist der Start noch nicht angekündigt.

Auf dem Flug schreibe ich viele Sachen auf und schaue immer wieder aus dem Fenster. Paris, die Flamingos bei Montpellier in Südfrankreich, Mallorca, dann die Sahara... völlig verschiedene Strukturen und Farben über Stunden. Ich schaue einen Film: Verborgene Schönheit, u.a. mit Will Smith: Liebe, Tod und Zeit. Toll.





Ankunft in Yaoundé nach einem Zwischenstopp in Douala mit einer Stunde Verspätung. Sicher warten sie schon auf mich: Eli und Christina, Christa und Philip, und ein Driver. Draußen schlägt mir trotz 19:30 Uhr Ortszeit 30 grad feuchte Hitze entgegen. Das Flugzeug ist außen mit dicken Tropfen beschlagen, weil es vom Flug noch ganz kalt ist.

Nach dem Ausstieg kommt erst mal eine Gelbfieberkontrolle, dann die Einreiseformalitäten in einer langen Schlange. Alles sehr entspannt. Die Koffer kommen auch bald, alles super. In der Ankunftshalle viele Leute aber keine bekannten Gesichter, auch nicht vor dem Flughafen. Dafür drei superaufdringliche französische Kollegen, die mich sofort mit einem Wagen für die Koffer bedrängen und mich fast vor sich her schieben. Ich bleibe erst mal am Flughafen und versuche mein Handy in Gang zu bringen. Geht aber nicht, weder wifi noch über Roaming. Nach 45 Minuten werde ich langsam unruhig. Wenig später kommt einer der „Helfer“ erneut und ich lasse mich darauf ein, mit ihm den Flughafen zu verlassen, weil er mir versprochen hat, dass am Parkplatz eine Eli auf mich wartet. Tatsächlich. Tränen auf beiden Seiten. Sie lassen niemanden „unberechtigten“ an oder in den Flughafen. Die Helfer wollen nun Geld für ihre Dienstleistung - und zwar nicht zu knapp. Am Auto kommt es zu heftigen Wortgefechten. Christina gibt Ihnen 2000 Franc, er ist sauer und will mir das Geld zurück geben. Ich verlade mit Brain, unserem Fahrer, die Koffer. Ich habe keine Ahnung was hier geht. Schließlich verlassen wir den Flughafen nachdem wir an der Schranke zum Parkplatz irgendjemandem 500 Franc bezahlt haben. Die Mädels haben durch das lange Warten diverse Mückenstiche davon getragen. Ja, sie haben auch sicherheitshalber Malariaprophylaxe genommen.


Yaoundé bei Nacht. Überall (Motor)bikes wie in Rom, nur mit viel mehr Leuten drauf, gelbe und ein paar andere Autos, die sich wie bei einem Stockcar Rennen über die Kreuzungen drücken, allgegenwärtiges Hupen. Aber alles doch irgendwie einer inneren Logik folgend. Brain ist kein bisschen aufgeregt oder aggressiv. Ich sollte erst in den nächsten Tagen verstehen dass die nonverbale Kommunikation total systematisch und alles andere als aggressiv ist: "Achtung, ich bin hinter dir und überhole jetzt". "Danke für die Warnung vor dem Schlagloch". Auch wenn Brain bei 120 km/h auf einen Meter auffährt habe ich das Gefühl er weiß genau was er tut und der Vordermann auch.

Die Unterkunft ist die National Episcopal Conference of Cameron. Es gibt warme Duschen. Ich teile mir mit Eli ein Doppelzimmer für 10.000 Francs, Christa und Christina ebenfalls. Die Mädels haben alles total toll vorbereitet und unser Budget abgeschätzt. Wir treffen noch Father Zeph, der auch den beiden bei der Verlängerung ihrer Visa im Januar helfen wird. Alles wird gut. Morgen 8 Uhr Frühstück.

Und ich soll heute morgen noch in Deutschland gewesen sein?

17.12.2017 Neuland

"Und eines Tages spürst du genügend Kraft, Mut und Zuversicht, um dich von den Fesseln des Zögerns und der Angst zu befreien und zu neuen Ufern aufzubrechen".


Dieser Satz von Jochen Mariss, den ich auf einer Karte von Kim am 17.12. im Flughafen Brüssel bekommen habe, trifft doch sehr gut meine aktuelle Situation. Meinen Job und meine lieben Kollegen habe ich nach 18 Jahren hinter mir gelassen. 20 Jahre habe ich jetzt gearbeitet, 20 Jahre liegen noch vor mir. Am 1.2. beginnt eine neue Herausforderung und im Zwischen-Raum fahre ich zu meiner großen Tochter Eli nach Kamerun.

Wohin gehe ich, wohin breche ich auf? Afrika zulassen heißt für mich die Kontrolle aufgeben, abgeben, mich anderen Menschen anvertrauen. Auf vieles angenehme zu verzichten macht mir nicht viel aus, aber gegen meinen Respekt vor Krankheiten und politischen Unruhen anzuarbeiten schon. Ich fange brav einen Tag vorher, also am Samstagmorgen, mit der ersten Malariaprophylaxetablette an.

Vor der Abreise habe ich mit vielen Menschen über meine Situation und die Reise gesprochen, viele Menschen haben mir Briefe und Geschenke gebracht, damit ich sie mit nach Kamerun nehme. Ich kann nicht alles mitnehmen, muss auch an meine eigenen Sachen denken, ich kann es nicht allen recht machen, ich muss Fehler zulassen.

Gehe ich in einen Traum, eine Traumwelt mit einer Traumzukunft? Was macht die Realität aus meinen Idealen, was meine Ideale zu einer neuen Realität? Zu welchem Job mache ich meine Arbeit, zu welchem Mensch macht mich mein Job?

Offline, nicht erreichbar sein. Niemand kann sich auf mich verlassen, kann seine Dinge zu mir über den Zaun werfen. Kann erwarten dass ich spätestens nach einer Stunde antworte. Dass ich schnell mal meine gewohnten Talente ins Feld führe. Was von mir, von meinem Selbstverständnis, meinen Ansprüchen, erwacht wenn ich offline bin?